Warum immer mehr Menschen Altersarmut droht

Siegfried Stresing

Bundesgeschäftsführer Deutscher Familienverband

Warum immer mehr Menschen Altersarmut droht

Veröffentlicht: 14/11/2014 13:19 CET Aktualisiert: 14/11/2014 13:19 CET Huffington Post

                       

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Die Tendenz ist nicht neu, aber alarmierend: Immer mehr Menschen ab 65 Jahren sind auf Grundsicherung angewiesen. 2013 stieg in dieser Altersgruppe die Zahl der Empfänger um mehr als sieben Prozent. Insgesamt rund eine halbe Million Senioren konnten am 31.12.2013 nicht aus eigener Kraft ihre Grundbedürfnisse stillen.

Es ist gut und richtig, dass der Sozialstaat niemanden im Stich lässt. Die Frage bleibt: Was ist geschehen, dass so viele nicht mit ihrem „Lohn für Lebensleistung" menschenwürdig alt werden können und außerdem viele Renten knapp über dem Niveau der Grundsicherung liegen?

Ein Grund liegt auf der Hand: Immer weniger Erwerbstätige müssen für immer mehr Rentner aufkommen. Das kann für Beitragszahler und Rentenempfänger nicht zufriedenstellend funktionieren. Der Ruhestand wird für manchen Bürger zum Sorgenstand.

Ruhestand als Sorgenstand

Übrigens: Viele Seniorinnen mit beklagenswert geringen Renten tauchen in dieser Statistik gar nicht auf. Ehepartner und eingetragene Lebenspartner sorgen selbstverständlich und ohne mediale Präsenz täglich füreinander. Wer in einer stabilen, dauerhaften Partnerschaft lebt, schützt sich auch im Alter wirksam vor Armut.

Leider war über das Statistische Bundesamt eine fundierte Analyse der konkreten Erwerbsbiografien nicht möglich. Einen fokussierten Blick auf unterschiedliche Empfängergruppen (und mögliche Ursachen) lässt die Datenlage nicht zu.

Frauen sind besonders von Altersarmut betroffen

Wer sind diese Menschen? Meine These: Unstete Erwerbsverläufe und Beschäftigungsverhältnisse mit geringer Bezahlung verursachen die prekäre Situation im Alter. Dass vor allem Frauen davon betroffen sind, überrascht nicht. Zu viele arbeiten im Niedriglohnsektor oder aus familiären Gründen in Teilzeit. Kindererziehung und die Pflege Angehöriger im Alter werden hierzulande ja kaum honoriert.

Also verdienen - meist jedenfalls - die Frauen „etwas zum Einkommen des Partners hinzu" oder schlagen sich „nebenbei" mit unterbezahlten Jobs durch. Zwar werden Erziehungszeiten in der Rente angerechnet - doch mehr als ein Versuch, das Geleistete ansatzweise zu honorieren, ist das nicht. Scheitert die Beziehung im Laufe des Lebens, sind diese Frauen konkret von Armut bedroht.

Der Arbeitsmarkt ist dankbar für diesen Spagat am finanziellen Abgrund und setzt auf Frauen, die schnell in eine Lücke springen und ebenso schnell wieder zu „entsorgen" sind. Der Skandal um die „Schlecker-Frauen" ist uns allen noch gut im Gedächtnis.

Eltern tragen die größte Last für unser Rentensystem

Der schwere Tanker Rentenversicherung fährt mit voller Kraft auf den Eisberg zu, die Offiziere sehen die Gefahr und sind hilflos. Mit zu kurzen Paddeln versuchen wir verzweifelt, den Kurs zu korrigieren - dazu gehört auch die Überlegung, vermehrt auf Kapitaldeckung zu setzen. Dabei müssen sich auch und besonders intensiv jene in die Ruder legen, die den Kurs der Renten-Galeere am wenigsten zu verantworten haben: die Eltern von Kindern.

Sie erziehen und versorgen ihre Sprösslinge und leisten einen generativen Beitrag für die Rentenversicherung. Das Bundesverfassungsgericht nennt diesen Beitrag „konstitutiv". Ohne Kinder, die heute geboren werden, gibt es morgen keine Rentenzahler und das Schiff geistert ohne Mannschaft in den Untergang. Darüber hinaus zahlen Eltern in die Rentenkasse ein, als hätten sie keinen Nachwuchs.

Sie tragen, wie alle Beitragszahler, neben der Verantwortung für ihre Elterngeneration, zusätzlich auch den Aufwand für eine nachfolgende Generation. Aber nur mit diesem Nachwuchs hat unser Sozialversicherungssystem überhaupt eine Chance, die Seefahrt bei hohem Wellengang zu überstehen!

Sozialversicherung muss zukunftsfähig gemacht werden

Wir müssen endlich unser Sozialversicherungssystem zukunftsfähig machen! Das funktioniert nur, wenn Familien nicht weiter ausgeblutet werden. Kindererziehung muss bereits während der aktiven Erziehungsphase beitragsmindernd berücksichtigt werden.

Um Eltern in der Erziehungsphase zu entlasten, müssen die Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung familiengerecht und kinderzahlabhängig gestaltet werden. Wie in der Steuer muss es mindestens einen Kinderfreibetrag geben. Sonst gerät schon eine Familie mit zwei Kindern, die von einem Facharbeiterlohn lebt, nach Abzug von Steuern und Abgaben mit ihrem Nettoeinkommen einschließlich Kindergeld unter die Armutsgrenze.

Die Forderung ist nicht neu: Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Pflegeversicherungsurteil schon 2001 entschieden, dass Eltern, die Kinder erziehen, nicht mit einem gleich hohen finanziellen Beitrag belastet werden dürfen wie Kinderlose.

Bis heute hat der Gesetzgeber - bis auf einen geringen Kinderlosenzuschlag in der Pflegeversicherung - diese Vorgaben nicht umgesetzt. Wir brauchen dringend eine unabhängige Kommission, die über die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wacht.

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